ESG|KHG Lüneburg

Starke Projekte: Ökumenische Hochschulgemeinde Lüneburg

14. September 2023

Interview des 'Forum Hochschule & Kirche, Bonn, mit ...

... Silke Ideker (SI), Pastorin und Leiterin der Evangelischen Studierendengemeinde Lüneburg und Michael Hasenauer (MH), Pastoralreferent (Dipl.Theol.) und Leiter der Katholischen Hochschulgemeinde Lüneburg. Das Interview führte Antonia Huybrechts, Referentin im Katholischen Forum Hochschule und Kirche e.V.

Könnt ihr uns das Konzept der ökumenischen Zusammenarbeit in eurer Hochschulgemeinde kurz vorstellen?
MH: Formal sind es eine evangelische und eine katholische Hochschulgemeinde.
SI: Und vor Ort arbeiten wir ökumenisch. Wir planen gemeinsam und sind von unserem Konzept und auch real (fast) immer beide dabei. Michael hat eine volle Stelle mit einem Anteil für geistliche Begleitung im Bistum, ich habe eine halbe Stelle. So übernimmt Michael ein paar mehr organisatorische Dinge. Aber die inhaltliche Arbeit ist aufgeteilt.
MH: Es gibt ein Sprecher:innenteam der Hochschulgemeinde, in dem keine konfessionelle Parität gewahrt sein muss. Wir fragen die Studierenden nicht, welche Konfession sie haben. Wer da ist, ist richtig.
SI: Die Räumlichkeiten sind von Bistum und Landeskirche gemeinsam gemietet. Ebenso wie es einen gemeinsamen Haushalt gibt. Normalerweise haben die evangelischen Hochschulgemeinden den roten Hahn als Logo, aber für unsere Zusammenarbeit hier in Lüneburg haben wir uns für ein gemeinsames Logo entschieden. Wir leben hier sehr ökumenisch, aber scheren nicht alles über einen Kamm. Es gibt Eucharistiefeiern, es gibt Abendmahlfeiern, aber ansonsten feiern wir gemeinsame Andachten und Gottesdienste.
MH: Die Studierenden haben wenig Interesse an konfessionell-dogmatischen Unterschieden. Manche konfessionellen Besonderheiten sind aber einigen wichtig. Wir haben für unsere regelmäßigen Andachten eine liturgische Form entwickelt, in der beides seinen Platz hat. Sie sind von einer gemeinsamen Spiritualität getragen. Wir möchten die Studierenden immer wieder anregen, dass sie ihren eigenen Glauben leben. Und wenn es um kirchlich kontroverse Themen wie zum Beispiel OutInChurch geht, beziehen alle gemeinsam Stellung, auch bei den Themen des Synodalen Wegs.

Wurde ein Bedarf für eine ökumenische Hochschulgemeinde festgestellt, oder wie wurde das Thema angegangen?
MH: Die ESG war 2007 auf der Suche nach neuen Räumlichkeiten, weil ihre bisherigen 2007 gerade verkauft wurden. Unsere Vorgänger*innen kamen auf die Idee, dass die ESG für einige Semester Unterschlupf in der KHG finden könnte. Dann hat die Chemie so gut gepasst, dass schnell gemeinsame Veranstaltungen geplant wurden und gemeinsame Gremien entstanden. Als  2011/2012 Pläne zum Bau eines neuen Zentralgebäudes (Libeskind-Bau) konkret wurden, sind wir auf die Universität zugegangen mit der Frage, ob wir dort Räumlichkeiten mieten könnten.  Gleichzeitig hat die Uni die Kirchen für eine finanzielle Beteiligung für einen Raum der Stille angefragt. Nachdem diese sich an den Kosten für den Raum der Stille beteiligt haben, wurde die Anmietung von Räumlichkeiten direkt vor diesem Raum möglich. Wir konnten uns in die Planungen des Raums der Stille einbringen und haben in diesem Prozess große Wertschätzung seitens der Uni erlebt. Der Raum der Stille ist aber nach wie vor ein Raum der Universität, den man für Veranstaltungen buchen kann. Das ist eine Win-win-Situation.
SI: Direkt auf dem Campus zu sein, hat viele Vorteile. Z.B. auch bei Notfällen. Es gab mal eine Messerattacke – und wir konnten schnell vor Ort sein und entsprechende Seelsorge und Gespräche akut und im Nachgang übernehmen und begleiten.

Was sind die Stärken einer ökumenischen Hochschulgemeinde?
SI: Wir leben die Zukunft der Kirchen.
MH: Zu merken, wie normal sich das anfühlt, ökumenisch unterwegs zu sein.
SI: Wir bereichern uns in unserer Verschiedenheit und unterstützen uns mit den jeweiligen Netzwerken. Für die Studierenden ist es ein Vorteil, sich nicht vorher überlegen müssen, wo sie sich zugehörig fühlen. Für Studierende oder Bedienstete der Universität, die Seelsorgebedarf haben, ist es unkompliziert möglich, bei uns Hilfe zu finden.
MH: Es ist schön, Menschen zu begleiten und zu sehen, wie sie in unserem ökumenischen Miteinander wachsen.
SI: Wirtschaftlich ist es einfach geschickt, Ressourcen zu bündeln. Gegenüber der Uni treten wir als eine Hochschulgemeinde auf, wodurch wir besser wahrgenommen werden und Wertschätzung erleben.
MH: Die Universität startet jedes Wintersemester mit einer von uns gestalteten und organisierten Interreligiösen Andacht im Audimax in ihre Startwoche. An ihr nehmen etwa die Hälfte der neuen Studierenden teil. Damit haben wir, glaube ich, ein Alleinstellungsmerkmal. Für uns ist das immer wieder eine tolle Gelegenheit als Hochschulgemeinden und Seelsorger*innen wahrgenommen zu werden und mit den neuen Studierenden in Kontakt zu kommen. Dass wir hier gleich zu Beginn gemeinsam mit verschiedenen Religionen erlebt werden, ist eine Botschaft, die bei vielen Studierenden Türen öffnet.

Welche Herausforderungen gibt es immer mal wieder noch und wie überwindet ihr sie?
SI: Wir haben einen gemeinsamen Haushalt, aber wegen den neuen Regeln der Umsatzsteuer müssen die Haushalte getrennt werden. Auf der formalen Ebene ist das dann leider nicht mehr die Augenhöhe, die wir uns vorstellen. Landeskirchenamt und Bistum arbeiten an einer Lösung.
MH: Manchmal frage ich mich, ob es vielleicht ein Dunkelfeld gibt, in dem wir konfessionell-konservative Studierende nicht ansprechen, weil wir ihnen zu ökumenisch sind.
SI: Es ist immer ein Balanceakt,  einerseits Hochschulgemeinde als einen Ort von Vertrauen und Gemeinschaft zu leben und andererseits sich darin nicht einzuschließen, sondern offen zu bleiben. Deswegen bemühen wir uns auch, Kontakte zu studentischen Initiativen der Uni aufzubauen und Veranstaltungen mit ihnen zu machen.

Was begeistert euch persönlich immer wieder an der ökumenischen Zusammenarbeit?
MH: Ich finde es als Katholik sehr bereichernd auf Augenhöhe gemeinsam mit einer Frau leiten zu können.
SI: Mich begeistert die Freiheit hier. Wir haben die Freiheit, Glauben zu gestalten. Und an dieser Bereicherung finde ich sehr schön, dass junge Menschen daran teilhaben und mitgestalten können. So kann Glaube gehen.
MH: Gestaltungsfreiheit und Ressourcen zu haben, um Ideen umzusetzen. Den Kontext von Uni mit nutzen zu können. Die interreligiöse Zusammenarbeit ist immer wieder wertvoll. Wir treffen uns immer wieder mit der Muslim Community und tauschen uns über den Glauben aus. Die Rückmeldungen darüber, was alle mitnehmen, sind sehr schön. Noch eine schöne Erfahrung: Ich war Gastreferent in einem Seminar zu Glaube und Wissenschaft. Daraus sind Meditationsangebote entstanden für Studierende, die sonst keinen Kontakt zu Kirche haben. Schön, dass so etwas möglich ist.
SI: Mir ist an unserer ökumenischen Arbeit wichtig, gegenüber den Kirchen und der Gesellschaft zu zeigen, wie wichtig Religion und Spiritualität in diesem säkularen Feld sind. Neben den Kerngemeinden ist „Kirche in der Welt“ wichtig. Das dürfen die Kirchen nicht aufgeben.