Bild: Jens Schulze

Vertrauen vermitteln ist wichtiger als Schulstoff nachholen

26. August 2020

Start ins neue Schuljahr unter den Bedingungen von Corona

Das neue Schuljahr steht vor der Tür. Dem Wunsch nach möglichst viel Normalität stehen die steigenden Corona-Fallzahlen gegenüber. Wie kann in dieser Situation der Start ins neue Schuljahr gelingen? Lena Sonnenburg, als Dozentin am Religionspädagogischen Institut Loccum zuständig für den Bereich Grundschule, erklärt, was jetzt wichtig ist.

Frage: Lehrer*innen, Schüler*innen und Eltern hoffen, dass die Schule wieder „möglichst normal“ startet. Wie viel Normalität wird möglich sein?

Lena Sonnenburg: Das ist selbst jetzt kurz vor Schulstart schwer zu sagen. Die Fallzahlen steigen ja gerade wieder. Deshalb sage ich es mal so: Ich hoffe, dass erstmal alle Schüler*innen einer Klasse gemeinsam in die Schule kommen können, auch wenn man wohl nicht ausschließen kann, dass später vielleicht wieder eine verkürzte Beschulung notwendig sein wird. Ganz besonders für die Erstklässler*innen würde ich mir aber einen Start mit der ganzen Klassengemeinschaft wünschen – für diese Kinder ist ja das ganze System Schule neu.

Frage: Wie kann die Schule gerade den neuen Erstklässler*innen in dieser Situation den Start erleichtern?

Lena Sonnenburg: Die Lehrkräfte haben da viele tolle Ideen. Ich weiß, dass viele angehende Erstis Post von ihren zukünftigen Klassenlehrer*innen bekommen haben: zum Beispiel mit der Bitte, ein Bild von sich zu malen und in die Schule mitzubringen. Das wird dann im Klassenraum aufgehängt, so dass die ganze Klasse symbolisch versammelt ist. Auf diese Weise entsteht ein Gefühl von Gemeinschaft – und das funktioniert auch dann, wenn die Kinder Abstand halten müssen.

Frage: Was denken Sie: Welche Spuren hat die lange Corona-Zwangspause bei den Schüler*innen hinterlassen?

Lena Sonnenburg: Die Schüler*innen freuen sich jetzt plötzlich auf die Schule (lacht). Die Grundschüler*innen gehen ja meistens sowieso gerne zur Schule, aber jetzt merken auch die Jugendlichen, wie gut Normalität tut. Gleichzeitig haben die Kinder eine schwierige Zeit hinter sich: Viel Unsicherheit, viele Sorgen, vielleicht haben sie auch bei ihren Eltern ganz reale Existenzängste gespürt. Das geht natürlich nicht spurlos an einem vorüber. Das werden die Lehrkräfte in den Schulen aufgreifen müssen.

Frage: Manchmal hört man ja Sätze wie „Jetzt müssen sich die Schulen aber ranhalten, um den ganzen verpassten Stoff nachzuholen!“ Was würden Sie denn sagen, was in den Schulen jetzt am wichtigsten ist?

Lena Sonnenburg: Auf keinen Fall sollte man sich trotz des ausgefallenen Unterrichts jetzt auf die reine Wissensvermittlung konzentrieren. Lernen kann nur funktionieren, wenn die Schüler*innen offen dafür sind. Damit das auch jetzt, während Corona, zutrifft, müssen die Lehrkräfte ihnen Sicherheit geben, die Ängste der Kinder abbauen und deutlich zeigen, dass sie für die Schüler*innen da sind. Fehlender Stoff kann leichter kompensiert werden als mangelndes Vertrauen. Und noch etwas ist jetzt wichtig: Über Wochen mussten die Schüler*innen alleine zuhause lernen. Dabei lernen Kinder und Jugendliche doch vor allem voneinander und miteinander – und nicht, indem sie einsam ihren Schulstoff büffeln.

Frage: Was heißt das denn für die Gestaltung des Schulalltags?

Lena Sonnenburg: Wenn jetzt die Schule wieder anfängt, dann muss man schauen: Was braucht meine Lerngruppe? Was ist schulorganisatorisch möglich? Und wie kann ich den Schüler*innen das geben, was sie brauchen? Dass ein Gefühl von Sicherheit ganz wichtig ist, hatte ich eben schon gesagt. Bewegung ist auch ein großes Thema, gerade nachdem wochenlang Spielplätze, Sportanlagen und Schwimmbäder geschlossen waren. Dafür sollten alle Lehrkräfte sensibel sein – völlig egal, welches Fach sie in der Klasse eigentlich unterrichten. Man kann jetzt nicht sagen: Um Bewegung kümmert sich der Sportlehrer und für Vertrauen und Hoffnung sorgt die Religionslehrerin. Sondern alle sind aufgefordert, in einer zugewandten, achtsamen Haltung auf die Schüler*innen zuzugehen. Und das eben nicht nur dienstags in der 3. Stunde, sondern in jedem Unterricht.

Frage: Wenn da alle achtsam sind, wofür braucht es dann den Religionsunterricht?

Lena Sonnenburg: Weil der Religionsunterricht noch mehr kann. Hier ist Zeit, um intensiv über die Erfahrungen während Corona zu sprechen, das aufzuarbeiten, was die Schüler*innen erlebt haben, aber auch Hoffnungsmotive zu entwickeln, um gestärkt in die Zukunft blicken zu können. Damit bringt der Religionsunterricht eine spirituelle Dimension ins Spiel und leistet so einen wichtigen Beitrag im Schulalltag.

Die Fragen stellte Dr. Michaela Veit-Engelmann
(Öffentlichkeitsarbeit des RPI Loccum)