Liebe Lesende,
„Geh aus, mein Herz“ (Evangelisches Gesangbuchbuch Nr. 503; Gotteslob Nr. 865)
Dieses wunderbare Sommerlied gehört zu meinen Lieblingsliedern, und ich singe es das ganze Jahr. Denn es gibt auch eine „liebe“ Herbst-, Winter- und Frühlingszeit mit anderen Gaben Gottes. Gerade schon fallen die ersten Kastanien vom Baum, der Apfelbaum trägt saftige rote Äpfel, die Astern blühen und der Himmel hat schon dieses wunderbare herbstliche Blau. Es ist immer wieder an der Zeit zu singen:
„Geh aus, mein Herz, und suche Freud in dieser lieben Sommerzeit“ oder eben Herbst-, Winter- oder Frühlingszeit. Es ist immer an der Zeit, danach zu suchen, was Freude macht und das Herz wärmt.
1653 hat Paul Gerhardt dieses Lied veröffentlicht, und was so beschwingt und fröhlich klingt, hat einen ernsten Hintergrund. Als der Liederdichter diese Strophen verfasste, waren die Folgen des 30-jährigen Krieges noch sehr zu spüren. Von 1618 – 1648 hatten immer neue Wellen von Krieg, Terror, Kämpfen und Gewalt das ganze Land überzogen. Die Städte, Dörfer und Felder waren verwüstet, viele – auch Paul Gerhard selbst – hatten Familienangehörige, Freunde und das ganze Hab und Gut verloren und mussten buchstäblich bei Null anfangen.
Paul Gerhardt besingt die Schönheit der Natur, die er mit allen Sinnen wahrnimmt. Auch in dunklen Zeiten können wir hinausgehen und nach dem schauen, was das Leben und die Schöpfung für uns bereithalten. Vielleicht spüren: Mein Leben verdanke ich Gott. Dieses Gefühl öffnet mir die Augen für andere und die gesamte Schöpfung. Ich entdecke: Freude, unerwartet, leise oder mitreißend.
Mitten in den größten Herausforderungen des Lebens den Blick nicht auf sich zu richten, sondern auf den, der uns das Leben geschenkt hat. Für Christinnen und Christen sind alle Menschen Gottes Geschöpfe. Das eigene Leben zu Gott in Beziehung setzen kann eine neue Perspektive eröffnen, Vertrauen ins Leben geben und Hoffnung wecken. Der Glauben an den lebendigen Gott ist keine Jenseitsvertröstung, sondern eine Lebenshaltung, die sich schon im Hier und Jetzt zeigt. So erwacht in mir das Bewusstsein, Teil eines großen Ganzen zu sein, in dem ich gehalten bin. So hat es Paul Gerhardt für sich selbst empfunden und dies in Liedstrophen gefasst.
„Mach in mir deinem Geiste Raum,
dass ich Dir werd ein guter Baum,
und lass mich Wurzel treiben.
Verleihe, dass zu deinem Ruhm
ich deines Gartens schöne Blum
und Pflanze möge bleiben.“
(Strophe 14)
In der Erde fest verwurzelt sein, einen Standpunkt haben und dazu gehören: wie ein guter Baum sein. Teil der Vielfalt der Menschen sein, schön zu sein wie eine Blume. Das Bild vom Garten steht für einen Ort, an dem es sich gut leben lässt, nicht als Apfelbaum, als Aster, als Kürbis oder Rosmarin, sondern als Mensch, mit Würde und schön. Das sind Sie, weil Sie Mensch sind. Das kann Ihnen keiner nehmen und die Freude an der Natur, an anderen Menschen.
Wir wünschen Ihnen viele neue Blicke auf die Welt, freundliche und bereichernde Begegnungen und einen guten Ort zum Leben – geh aus, mein Herz und suche Freud‘.
Ihre
Kerstin Gäfgen-Track
im Namen aller Mitarbeitenden der Abteilung für Bildung, Schule, Kinder und Jugend