Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Lesende,
die Verleihung der Preise des Landeswettbewerbs Evangelische Religion ist für alle Mitarbeitenden im RPI und für uns in der Bildungsabteilung immer ein Highlight. Wir staunen über die Kreativität, das Engagement und die tollen Ergebnisse des Wettbewerbs. Gerechtigkeit war diesmal das Thema. Das ist, gerade für viele Schüler*innen ebenso wie für mich, „das“ Thema und immer aktuell. Die Sehnsucht nach Gerechtigkeit ist groß, gerade weil es in allen Bereichen des Lebens immer wieder zu Ungerechtigkeiten kommt. Manche Ungerechtigkeit ist himmelschreiend.
Noten werfen immer die Frage nach der Gerechtigkeit auf. Gerade jetzt zum Schuljahresende, rund um die Zeugnisse stellt sich ständig Fragen nach der Gerechtigkeit: Wäre eine Vier nicht doch gerechter gewesen? Ist diese Fünf nicht absolut ungerecht? Diese Überlegungen stellen jedes Jahr alle Lehrer*innen während eines Schuljahres und dann am Ende bei den Zeugniskonferenzen in besonderer Weise an. Die Zeugnisse entscheiden vielfach über den weiteren Lebensweg einer Schülerin oder eines Schülers mit.
Gerechtigkeit für viele Schülerinnen und Schüler und viele andere auch nicht nur ein Thema, wenn es um Zeugnisnoten und Beurteilungen geht, sondern um Smartphones, Ausbildungs- und Studienorte, Einladungen zu Feiern, Aussehen, Urlaub und und und – die Liste kann beliebig verlängert werden...
Beim Landeswettbewerb haben die Schüler*innen gezeigt, wie viele und sehr unterschiedliche Fragen sich stellen können, wenn es um Gerechtigkeit geht: zwischen Mensch und Klima, zwischen Mann und Frau, zwischen Krieg und Frieden. Schüler*innen haben aber auch die ungewöhnliche Frage gestellt, ob der assistierte Suizid gerecht ist.
Die Portfolios zu lesen war spannend. Mein Fazit auch bei dieser Lektüre am Ende: „Die“ Gerechtigkeit gibt es gar nicht. Es muss immer wieder neu überlegt und verhandelt werden, was gerecht ist: gerechter Lohn oder gerechter Mindestlohn, gerechter Friede oder kann es in einer bestimmten Situation so etwas wie einen gerechten Krieg geben. Es braucht oft den Streit, aber gewiss keine Kriege, um herauszufinden, was gerecht ist für die anderen, für mich, für die Schule, für den Frieden.
Gerechtigkeit eines der großen Themen in Kirche – schon im Ersten Testament wird immer wieder ausgehandelt, was Gerechtigkeit sein könnte. So soll der älteste Sohn, Esau, alles, vor allem den Segen, von seinem Vater Isaak als Erbe bekommen. Ob diese Erbfolge gerecht ist, ist die große Frage. Aber dass Jakob, der jüngere Bruder, ihm den Segen und das ganze materielle Erbe durch Betrug entreißt, ist auch nicht gerecht und fair.
Im Neuen Testament gibt es durch Jesus die Aufforderung, mehr Gerechtigkeit ins Leben zu bringen. Die römischen Soldaten konnten die jüdische Bevölkerung zwingen, eine Meile lang ihr Gepäck zu tragen. Jesus sagt, geh, wenn Du kannst, noch eine zweite Meile. Eine Meile mehr als das römische Recht von dir verlangt. Gehe noch zweite Meile als Bild, nicht nur dass dem römischen Soldaten noch länger das Gepäck getragen wird, sondern noch ein zweites Elterngespräch angeboten wird, der Schüler noch extra Aufgaben erhält, zweimal das Protokoll in der Fachkonferenz geführt wird. Die zweite Meile der Gerechtigkeit ist mehr: mehr teilen, Zeit und Unterrichtsmaterial, mehr sich kümmern, auch um die Menschen in fernen Ländern, mehr den Mund gegen Ungerechtigkeit aufmachen und mehr für Gerechtigkeit streiten, empfindlicher werden bei Ungerechtigkeiten. Die zweite Meile für mehr Gerechtigkeit gehen, aus freien Stücken.
Wenn nächste Woche für Schule die Ferien beginnen und für andere in den nächsten Wochen der Urlaub in Sicht ist, dann ist das nur gerecht. Gerecht mit den eigenen und den Kräften anderer umgehen, Luft holen und die Seele baumeln lassen. Die zweite Meile kann danach angegangen werden.
Wir wünschen Ihnen als Bildungsabteilung einen wunderbaren Sommer, neue Kraft und neue Erfahrungen – der Segen Gottes möge Sie begleiten.
Ihre
Dr. Kerstin Gäfgen-Track